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Zahnarztangst - das ist wirklich keine Seltenheit. Aber warum ist diese Angst so weit verbreitet und was können Arzt und Patient dagegen tun? Tipps und Hilfestellungen zu diesem Thema gibt uns Dr. med. dent. Christoph Boeger in unserem Interview.
Interview mit Dr. med. dent. Christoph Boeger

DZAS: Lieber Herr Dr. Boeger, viele Ihrer Patienten haben starke Angst vor einem Besuch beim Zahnarzt, sodass Sie sogar bereits einen Ratgeber für Zahnarztangst-Patienten auf Ihrer Homepage veröffentlicht haben. Aber worin genau begründet sich diese weit verbreitete "Angst vorm Zahnarzt"?
Boeger: Die Ursachen für die häufig massive Art von Angst vor dem Zahnarzt können vielfältig sein. Meistens jedoch ist diese Angst aufgrund traumatischer Erlebnisse und negativer Prägungen in der Kindheit der Betroffenen entstanden. Frühe Schmerzerlebnisse bei der Zahnbehandlung spielen also eine wichtige Rolle ebenso wie negative Bilder und Vorstellungen, die durch die Eltern oder die Umwelt an Kinder bewusst oder unbewusst weitergegeben werden. Es scheint geradezu eine alte „Tradition der Zahnarztangst“ zu geben, an der übrigens wohl auch wir Zahnärzte unseren Anteil hatten und haben. Diese Angst hat auch historische Wurzeln, wenn man bedenkt, dass es noch nicht so lange her ist, dass fahrende Zahnklempner den Zahnkranken vor Publikum auf Marktplätzen unbetäubt eitrige Wurzeln mit grobem Gerät gezogen haben.
Etwa 70 Prozent der Patienten leiden unter Zahnarztangst
DZAS: Wie viele aller Patienten Ihrer Praxis sind Ihrer Schätzung zufolge von der Zahnarztangst betroffen?
Boeger: Etwa 70 Prozent unserer Patienten geben an, dass sie Angst vor einer Zahnbehandlung haben. Wiederum 70 Prozent von ihnen weisen eine derart starke Angst auf, dass sie eine besonders behutsame Vorgehensweise und Annäherungsmöglichkeit im Vorfeld ihrer Behandlung benötigen.
DZAS: Wie weitreichend können die Folgen einer solchen Zahnarztphobie sein?
Boeger: Starke Zahnbehandlungsangst bedingt leider meistens ein weites Fortgeschrittensein der Erkrankung von Zähnen- und Zahnfleisch. Oftmals sind mehrere Zahnwurzeln stark entzündet und vereitert, Zähne ausgefallen, die Kieferknochen bereits betroffen und zurückgebildet. Der Leidensgrad mancher Patienten mit Zahnbehandlungsangst ist unvorstellbar dramatisch und entsprechend hoch ist ihre Hemmschwelle für den Gang zum Zahnarzt – nicht zuletzt auch aufgrund von Scham.
DZAS: Wie kam es dazu, dass Sie sich speziell mit dieser Thematik der Zahnarztangst von Patienten auseinandergesetzt haben?
Boeger: Als ich mich mit 27 Jahren als Zahnarzt niederließ, war es mir anfangs völlig unverständlich, dass es überhaupt Patienten gibt, die ihre Zahngesundheit so sehr vernachlässigen können, dass sie derart ernsthaft erkranken – bis hin zu massivem Schmerztablettenmissbrauch und sozialer Isolation… Ich merkte sehr bald, dass dahinter mehr stecken musste als bloße Nachlässigkeit oder Faulheit. Ich begann, mich mit dieser Patientengruppe intensiver zu beschäftigen und stellte fest, dass es sich hierbei um eine ernst zu nehmende Form der Angsterkrankung handelt. Darauf war ich durch nichts vorbereitet.
Patienten können selbst aktiv werden
DZAS: Was können denn Patienten selbst tun, um ihre Angst zu überwinden und den Schritt zum Zahnarztbesuch zu wagen?
Boeger: Sie sollten sich outen, mit jemandem darüber reden. Erste Orientierung können Internetforen sein, in denen sich Betroffene austauschen. Auch ein Gespräch mit dem Hausarzt kann weiterhelfen. Steht schließlich der Gang zum Zahnarzt an, kann eine vertraute Begleitung hilfreich sein. Bestenfalls kann der Angstpatient gleich bei der Terminanfrage klarstellen, dass er oder sie keine sofortige Behandlung sondern zunächst nur Beratung wünscht. Besonders wichtig ist es, eine Zahnarztpraxis zu finden, die über Erfahrung mit Angstpatienten verfügt und diesen Eindruck, z. B. am Telefon beim ersten Gespräch, auch glaubhaft vermittelt.
DZAS: Gibt es spezielle Anlaufstellen, bei denen Angstpatienten erfahren können, welche Zahnärzte sich auf den Umgang mit Angstpatienten spezialisiert haben?
Boeger: Leider nein. Anlaufstellen als zentral organisierte Institutionen für Dentalphobiker gibt es einfach nicht. Das ist ja der Grund, weshalb ich meine Erfahrungen als Ratgeber im Internet veröffentlicht habe. Angstpatienten sind nach wie vor leider darauf angewiesen, sich über Internetforen, Bewertungsportale, Gespräche mit anderen Angstpatienten etc. selbst ein Bild vom passenden Zahnarzt zu machen.
Fortbildungen für Zahnärzte zum Thema "Zahnarztangst"
DZAS: Denken Sie, dass Zahnärzte mehr Fortbildungen zum Umgang mit Patienten mit Zahnbehandlungsangst besuchen sollten, damit sie auf solche Situationen vorbereitet sind?
Boeger: Das wäre wünschenswert. Aber welche denn? Es gibt keine anerkannte Qualifikation als Zahnarzt für Patienten mit Zahnbehandlungsangst. Die eigene Beschäftigung mit der Dentalphobie als klinisch anerkannte Angsterkrankung kann daher alternativ eine erste Annäherung sein. Hier gibt es sicherlich von psychotherapeutischen Institutionen Angebote. Eine seit vielen Jahren etablierte Adresse in NRW scheint mir zum Beispiel das Therapiezentrum Zahnbehandlungsangst an der Zahnklinik Bochum unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Peter Jöhren zu sein (auf ihn geht etwa der standardisierte „Fragebogen zur Zahnbehandlungsangst“ zurück). Als anerkannte, offizielle Fortbildungsveranstaltung für Zahnärzte ist mir aber noch nichts begegnet. Meine Wahrnehmung ist die, dass die Thematik der Zahnbehandlungsangst innerhalb unserer Zahnärzteschaft zwar zunehmend erkannt ist, aber immer noch in eher allgemein appellativer als in verbindlich institutionalisierter und fachspezifischer Weise behandelt wird. Andererseits widerspricht aber die Notwendigkeit, seine Praxisorganisation für Angstpatienten konsequent und fachkundig umzustellen, nun mal auch dem wirtschaftlichen Druck, dem viele Zahnarztpraxen heute ausgesetzt sind. Damit scheint mir der Fortbestand dieser sehr großen Patientengruppe teils auch systemimmanent.
DZAS: Wenn es keine Fortbildungen gab, bei denen Sie den Umgang mit Angstpatienten erlernt haben, wie haben Sie sich dann Ihr Wissen angeeignet?
Boeger: Durch das fehlende Angebot in diesem Bereich verfüge ich über dieses Wissen allein durch mein Erfahrungsfundament von mehr als drei Jahrzehnten in der Behandlung von Angstpatienten. Das hat auch dazu geführt, schließlich selbst einen „Zahnarztangstratgeber“ zu verfassen, der sich konsequent am Angstpatienten orientiert und einen empathischen Ansatz verfolgt. Er ist seit einem Jahr online und auf große Resonanz gestoßen, wird vielfach aufgesucht, empfohlen, zitiert und verlinkt – vielleicht auch, weil daran Angstpatienten mitgewirkt haben und selbst zu Wort kommen.
Was der Zahnarzt tun kann, um dem Patienten die Angst zu nehmen
DZAS: Was können Ärzte tun, um ihren Patienten die Zahnarztangst zu nehmen?
Boeger: Sie müssen sich klarmachen, dass diese Patientengruppe eine komplett andere Vorbereitung braucht. Sie erfordert im Vorfeld wesentlich mehr Zeit. Gleichzeitig muss ein Termin Ihnen sehr kurzfristig gewährt werden können und keinesfalls darf ein Angstpatient längere Zeit im Wartezimmer verbringen. Ein Zahnarzt, dessen Wartezimmer voll ist wenn er ins Erstgespräch mit einem Angstpatienten geht, hat schon verloren, denn sein Stress überträgt sich automatisch auf den Patienten. Ein weiterer, immer wichtigerer Baustein in unserer Behandlung von Angstpatienten ist übrigens die Behandlung unter ITN (Vollnarkose). Wir konnten sogar den Einwand ausräumen, dadurch verlören Angstpatienten ihre Angst nicht dauerhaft: Angstpatienten erlaubten uns nach Erstbehandlung unter ITN beim zweiten Behandlungstermin beispielsweise eine weniger aufwändige Behandlung unter herkömmlicher Lokalanästhesie – das könnte man durchaus als ein schrittweises „Verlernen“ von Angst betrachten; ganz im Sinne der schrittweisen Reizkonfrontation, die die Verhaltenspsychotherapie bei phobischen Patienten anwendet.
DZAS: Was ist ein absolutes No-Go im Umgang mit Angstpatienten?
Boeger: Gleich beim ersten Termin behandeln zu wollen. Und: Jeder Anschein von Eile. Auch jegliche Äußerung von Erstaunen, Empörung, Belustigung, Entsetzen oder Verachtung – und sei sie auch nur mimisch – muss unbedingt vermieden werden. Das gilt für den Arzt wie für das gesamte Personal. Durch seine große Scham hat ein Zahnarztangst-Patient ein seismografisch feines Sensorium für jede herabsetzende oder ironisch-überhebliche Reaktion. Er erwartet dies geradezu, hat dies häufig oft genug erlebt. Wenn der Angstpatient einem Zahnarzt erstmals seinen Mund öffnet, kann es sein, dass er dies gerade zum ersten Mal seit Jahrzehnten tut – eine enorme, nicht hoch genug einzuschätzende Leistung. Der Zahnarzt jedoch sollte dabei unbedingt – genau im Gegenteil – so rüberkommen, als würde er seit Jahren täglich nichts anderes sehen. Nicht zuletzt: Vergisst der Zahnarzt direkt nach diesem für den Patienten biografisch-historischen Moment, den Angstpatienten ernsthaft und ausdrücklich zu loben und ihm zu gratulieren und zu danken, dass er in die Zahnarztpraxis gekommen ist, begeht er einen Riesenfehler.
Sie interessieren sich ebenfalls für die Behandlung von Patienten mit akuter Zahnarztangst? Dann informieren Sie sich doch auf der Ratgeberseite von Herrn Dr. Boeger https://www.zahnarztangstratgeber.de/ noch genauer über dieses Thema.
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